"Alt-Prager Künstlerfeste." Mit Karikaturen von <Gustav Croy> und Versen von <Emil Faktor> über Prager Künstler aus der Osterbeilage der Bohemia von <1907>. In: Deutsche Zeitung Bohemia <1928>.
Alt-Prager Künstlerfeste
Wenn wir die Schubfächer alter Kommoden öffnen, vergilbte Broschüren durchstöbern, in raschelnden Kassetten kramen, stoßen wir manchmal auf wunderliche Sachen. Traumbilder sind plötzlich entschleiret, gepreßte Blumen zwischen knisternden Briefblättern duften überschwenglich wie ehedem. Der Hausrat einer verstaubten Vergangenheit steht gegen die Gegenwart auf und drängt sie aus dem Zimmer. Da sind Mädchenringe, aus dünnem Golddraht gehämmert, von der Poesie der ersten Liebesgeschenke umsponnen. Ein zerknülltes Tüchlein mit blaßblauen Spitzen gemahnt an den noblen Vereinsball, an klingelnde Tanzmusik, ein verstohlenes Küßchen. Ein Damenhandschuh sieht uns vorwurfsvoll an, zögernde klafft im Gedächtnis eine ratlose Lücke. Türen weichen, der große Saal des Wintergartens ist strahlend erhellt, Walzerklänge locken verführerisch, Trubel und Maskentreiben. Auf dem Schreibtisch vor uns sind Zauberdinge aufgestapelt, einem Leben gehörig, das vertan und versunken ist: Haarlocken, mit roten Seidenbändern verknotet, stockfleckige Photographien, Komiteeschleifen und Ballzeitungen.
Ballzeitungen! - Da ist sie wieder, die rührselige Welt, die mit zärtlichem Sentiment Angebinde verehrte, die wehleidige Welt unserer Jugend, in der man seine Gefühle nicht noch so fix aufs Eis der neuen Sachlichkeit legte. Da ist das Blatt, das für den Ball der Strauß'schen Operetten gedruckt worden ist, da sind Verse und Hokus-Pokus, aus denen Süßigkeit aufsteigt. Kostümkränzchen im Weinberger Restaurant Heine schlüpfen aus morschen Papieren, Eifersucht nagt unter gesteiften Frackhemdbrüsten. Souperpausen himmeln, die Saalpost befördert lustige Neckereien und anonyme Geständnisse. Denn die Heimgänge nach dem Fest, die wehmütige Stimmung in halbleeren Garberoben, das Stelldichein nächsten Tags im Wunderland der verschneiten Parkanlagen. Die alten Concordia-Bälle werden wieder lebendig, die um die Jahrhundertwende den Fasching der Prager Deutschen beherrschten. Theatervolk ulkt während der fidelen Nachtsitzungen des vorbereitenden Ausschusses, im Adlersaal rumort das Ballkabarett, Tusch wird geblasen und Alois Kirnig, der behäbige Malermeister, geleitet das Statthalterpaar zu der Ehrenloge. Dekorationen, mit Hingebung gemalt, verwandeln den Raum in märchenhafte Gebilde. Schlaraffenland tut sich auf, der Hirsebrei türmt sich zu Bergen, saftbraune Würste sind an appetitlichen Schnüren um die Seitenbrüstung gespannt. Die Komiteeherren tragen Schauben aus rohem Leinen mit altbackenen Mundsemmeln an Stelle der Knöpfe. Am Nachmittag vor dem Fest steht der junge Orlik in Hemdärmeln auf der Leitersprosse und schlägt mit sachkundigem Hammer den letzten Nagel ein.
Und da ist auch das kleine Hofzimmer im Deutschen Hause, wo der Verein der bildenden Künstler residierte. Jugendlaune, Übermut, Scherz und Gelächter sind mit seinem Andenken verwoben. Alle, die Zukunft in sich spürten, die später zu Rang und Ansehen gelangt sind, haben diese Runde passiert, zwischen bärtigen Invaliden des Pinsels und hundsjungen Akademikern hier Feierabend gehalten. Rilke trug seine frühen Strophen in das ledergebundene Gedenkbuch ein, Moissi sang hinter der strohumflochtenen Chiantiflasche seine italienischen Tiraden. Richard Teschner hatte die Wände mit einem drolligen Fries nicht immer geschmeichelter Konterfeis geschmückt, der Damen und Herren der kleinen Gesellschaft in boshaften Tierbildern zeigte. Da war ein Bildhauer, der es besonders scharf auf die Mädchen hatte, als wütender Stier zu sehn, ein lebenshungriger Lyriker als Sumpfvogel, ein expressionistischer Gelbschnabel als Affe. Jeder bot Improvistaionen aus, die er gerade meisterte: Bänkelsänge und Lieder, Schattenrisse oder bravouröse Versuche als Imitator. Da gab es in späten Nachtstunden groteske Aufführungen der Schillerschen Räuber, bei denen Ferdiannd [sic] Onno, der jugendschöne Schauspieler des Deutschen Theaters in Prag, eine einfallsreiche Regie führte. Der Maler Mopp spielte mit Dämonie und Gemauschel die Rolle des Spiegelberg, und der alte Moor im Turme, von der Tragödie entkräftet, mußte mit Kognak gelabt werden.
Auch Künstlerfeste respektablen Formats wurden in dem schmalen Zimmer des Hintergebäudes begangen. Der Panabend, an dem eine schnurrige Panzeitung verschleißt wurde, wo Maler Krattner mit dem wallenden Vollbart die Hirtenflöte blies, während sein Gefolge bekränzten Hauptes den Göttern huldigte. Die Wanderniere, eine zotige Festschrift, bringt das Andenken an einen Abend zurück, den die bildenden Künstler im Verein mit der Prager Concordia in der halle des Zentralhotels im Zeichen des Harakiri veranstalteten. Sein Programm verlief frech und gemütvoll und war von jener Heiterkeit beschwingt, die noch nicht die zielstreberische Kälte der Nachkriegsjahre durchfrötselte [sic]. Die Prager Bonzen aus der Zeit um 1900, Mäzene und Literaten, Dirigenten und Bühnensterne, wurden da auf der Flimmerleinwand in artigen Karikatiuren [sic] vorgeführt, von Gustav Croy gezeichnet, von stacheligen Versen Emil Faktors einbegleitet. Manch einer der also Verhöhnten hat die Jahrzehnte seither als Arrivierter oder zu Unrecht Vergessener, weise gealtert oder verbittert und unfroh, überdauert; die meisten sind tot oder vom Schicksal in die Windrichtungen verstreut. Aber die geistige Akrobatik, die in diesen Witzblättern steckte, die den Tagesgrößen von einst Kritik und Spott im Zerrspiegel einer rebellischen Laune vorhielt, war fruchtbar und edelmütig zugleich und dem modernen Gazettengezähnk mindestens ebenbürtig. Das Lachen über die Schwächen der Auserkorenen, das Ironie und tiefere Bedeutung mit Beifall quittierte, kam aus den Zonen herzerquickenden Frohsinns, aus den Bezirken der Schadenfreude.
Noch mancher Faschingsabend, von den humorigen Lichtern wirklicher Lustbarkeiten umschimmert, steigt wagemutig aus der Versenkung. Die Devise Bei fahrenden Leuten versammelt Keckheit und Kunst unter dem Hute der Allmutter Concordia. Prominente Persönlichkeiten des Prager Kunstlebens sind dem Tribute verpflichtet, den das Urteil des Publikums einfordert. Johanna Buska, die schlanke Gattin Angelo Neumanns, des Theaterdirektors diktatorischer Prägung, wird kurzerhand als eines der Bretter, die die Welt bedeuten angeprangert. Gustav Löwe, der unvergessene Komiker, die dekorative Grußgeste des Dichters Hugo Salus sind dem Gaudium preisgegeben. Oskar Kraus, Verfasser der Meyriade, stellt in dramatischen Histörchen sein Philosophentum unter Beweis. Der Maler Mopp paradiert als kohlschwarzer Neger mit wulstigen Afrikanerlippen auf der Szene, Teschner steuert zu kostbaren Moritaten gespenstische Bildstreifen bei. Vor mir liegt ein buntes Heft, auf steifem Bütten abgezogen, mit Reimen und Prosa Jungprager Namen. Gustav Meyrink ist mit dabei, Oskar Wiener u. a. Die Titelzeichnung stammt von Hugo Steiner-Prag. Es ist Die Kralle, ein Höllenadagio, für das Künstlerfest In der Hölle am 16. Jänner des Jahres 1902 im Verein der deutschen bildenden Künstler in Böhmen gedruckt. Dort sind die schönen Verse von Camill Hoffmann zu lesen:
Es ist mein Herz von Liebe schwer
Wie von Blüten der Apfelbaum.
Und es will mir scheinen, daß dieses Adagio der Finsternis zu Ehren des Satans kein Dokument schreckhafter Dinge, daß es vielmehr das Brevier einer ausschweifenden, in Musikalität verzitternden Melancholie gewesen ist, einer goldenen Romantik, die in der damaligen Zeit auch die Räusche der Freude heimlich verzückte.
Wohl ist mein Herz noch sehnsuchtsvoll,
So st der Liebe Art,
Das macht es gut und ohne Groll
Wie die Amsel, die singend überquoll
Und selbst ein Mailied ward.
Deutsche Zeitung Bohemia v. [1928], S. 3 und S. 21.