Die Gesellschaft. Jg. 15, Bd. 4, Nr. 1 v. 1899, Bd. 4, S. 74

Jungtschechische Litteratur

Ottokar Brezina: Stavitelé Chrámu, Verlag Moderní Revue in Prag.
Jan z Wojkovicz: Mysteria amorosa. Symposion VI., Verlag Hugo Kosterka in Prag.
Viktor Dyk: Síla zivota, Verlag Moderní Revue in Prag.

Visionär sind diese neuen Verse Brezinas, die eine heilige und fremde Sprache reden. Die Symbole der Dinge und die Geheimnisse des Ungelebten und die Schatten, die unsere Seele in das Zukünftige wirft, das ist die innere Struktur der Gedichte. Das Wort hat bei Brezina eine seltsame und dunkle Färbung bekommen, wie wir sie in den Büchern der Schrift und der Apokalypse finden. Und auch sein Formalismus ist von dieser fast religiösen Art. Der Dichter berauscht sich oft an dem Klang seiner Stimme und läßt prunkende Farben und Linien zu Bildern werden, die in ihrer fast wahllosen Fülle geradezu byzantinisch wirken. Ein tiefes und großes, aber ein einsames Buch, dessen Lyrik uns nicht ergreift in ihrer vornehmen Pracht und dessen Mystik uns fremd bleibt, weil die Stimme ihres Verkünders stolz und hart klingt und am Menschlichen nicht zittert.
Ein junger Dichter ist Jan z Wojkovicz, der noch die ganze Sehnsucht und all die süßen Unarten des Knaben hat. Die matte Dumpfheit der Pubertät liegt über diesen Prosastücken und das Lächeln des Verlangens. Die Liebe, von der er uns erzählt, das ist die Liebe der ganz jungen Leute, sehr naiv und sehr sinnlich und etwas sentimental. Es liegt etwas von der rührenden Unbeholfenheit der Kinder in den Reden, die die Menschen dieses Buches miteineinander führen. Und gerade wo uns der Dichter das Intimste sagt, wird er weich und wundersam primitiv. Zwar sind auch Passagen in dem Buche, wo ein frühreifes Raffinement und eine gewisse Koketterie seiner hypersensiblen Menschen sich wunderlich mischen mit der Unmittelbarkeit mancher Worte. Kindische Blumen sind manchmal in den müden Teppich einer blasierten Romantik gestickt. Und knabenhafte Scheu wechselt oft seltsam mit einer Art von Lüsternheit im Ausdruck, die fast an H. Clauren erinnert. Ein junger Dekadent hat diese Geschichten geschrieben, die uns vom ABC der Liebe berichten und doch zuweilen so tief und neu sind, ein Dichter von oft verblüffender Intuition, der nur eines noch nicht vermeiden gelernt hat: mit seiner Krankheit zu spielen und mit einer gewollten Anämie des Stils zu posieren.
Viktor Dyk ist ein Tscheche, der das Spezifische seines Volkes ziemlich accentuiert zum Ausdruck bringt. Es sind keine neuen Perspektiven, die seine Verse uns eröffnen, er ist kein Schöpfer neuer Worte in der Kunst, aber sie klingen tief und voll und vibrieren in uns nach. Die slavische Schwermut seiner Rasse wird in seinem Buche zur Melodie, die durch unsere Seele geht wie die böhmischen Volkslieder, wenn sie die armen Leute an einem Sommerabend zur Ziehharmonika singen. Ein wiegender Rhythmus trägt uns sanft hinüber in das Reich seiner dunklen Träume, wo der Dichter still und melancholisch, aber stark sein Leben trägt. Bisweilen zwar wird er ironisch und bitter, und das Lied seiner Sehnsucht klingt dann wie ein Couplet, das er in Hemdsärmeln in einem heißen Nachtlokale singt. Manchmal schreit seine Seele auf und blutet aus roten Wunden und betet. In seinen schönsten Gedichten aber wird sein Schmerz ein mildes Weinen, ein stilles Muttergottes-Lied und eine sanfte Trauer.