Brief von Otto Pick an Paul Leppin vom 6. Februar 1933
[...] ich habe soeben die letzten Seiten Ihres Romans gelesen, der kein Roman ist, sondern etwas in unserer Zeit und in dieser Zeit nahezu Einmaliges: eine starke reine Dichtung. [...] Sie kennen, lieber Herr Leppin, meine etwas sarkastische und scheinbar haarspalterische Art bei Beurteilung der Mehrzahl des heute Produzierten. Bei Ihrem Werk fruchten alle billigen Einwände gegen (leicht behebbare) sprachliche oder grammatikalische Eigenwilligkeiten absolut nichts –: es stellt sich sehr früh und in unheimlich wachsendem Maße jene Ehrfurcht ein [...], die mich befällt, wenn ich eine Dichtung vor mir fühle, die echt und schmerzlich erlebt ist bis ins Letzte.Und – was mir für uns als Ihre Leser und für Sie als den Dichter gerade diesmal als das Entscheidende erscheint –: Sie irren durchaus, wenn Sie glauben, hier ein abschließendes Werk, oder, wie Sie es ausdrückten, ein letztes Werk geschrieben zu haben: im Gegenteil, Sie haben meiner Ansicht nach das für Sie Wichtigste getan, Sie haben jenes Werk geschrieben, das die Befreiung und Erlösung in sich birgt. Es ist eine Roßkur, der Sie sich da mit letzter Demut unterworfen haben – und Sie sind als Mensch wie als Dichter rein daraus hervorgegangen! Ihr Bekenntnis- und Selbstanklageroman hat sich in die herrlichste Legende von Johanna und dem kranken Bruder verwandelt, und ich will Ihnen nun sagen, was Sie weiterhin schreiben müssen, lieber Paul Leppin: Legenden und Märchen. Legenden und Märchen der Wirklichkeit. Alles, was Sie bis heute nur vom Schmerz beschattet gesehen, schildern Sie es noch einmal, von der Lichtseite her, mit Johannas Augen betrachtet. Und schreiben Sie für uns die Geschichten vom Seifentier und allen herrlichen Wesen, die der im Innersten so gott- und kindgläubige Klaudius erlebt und im innern Blick bewahrt hat. So, das wollte ich Ihnen noch heute sagen! Und Ihnen für Ihr Werk danken, das ich liebe als Dichtung und auch als sittliche Tat. |