Abschrift von "El Ha." In: Prager Presse II.164, Dichtung und Welt 25 (18. Juni 1922), p. 2.

El Ha.
Von Paul Leppin (Prag)

      Wer ist El Ha? – Sie hat sich so nachdrücklich
hinter ihr Pseudonym zurückgezogen, daß ich mich
nicht befugt fühle, daran zu rühren. Nur das eine
sei gesagt, was aufmerksame Leser ihrer kleinen Be-
richte ohnehin schon erraten haben: es ist eine Frau.
      Ein besonderer Mensch, so überaus einfach, daß
er fast unerlaubt originell zu wirken scheint, mit allen
Launen und Ueberraschungen der Triebhaftigkeit.
Dieses Ungebärdige, Kindliche an ihr ist ihre blen-
denste Attrape, ihr eigentümlichster Reiz. Sie
müßte eine gute Schauspielerin sein, wenn es ihr ver-
gönnt wäre, unmittelbare, aus dem Urstoff der Welt
geborene Wesen zu spielen, Erdgeisterweiblein vom
Schlage Rautendeleins (aber ohne die Rhetorik
Hauptmannscher Diktion), das barfuße, halbwilde
Mädchen in d'Annunzios „Gioconda.“ Das bürger-
liche Leben geht ihr wider den Strich. Sie empfindet
seine Hemmungen wie eine lästige, manchmal etwas
komische Narretei, einen langweiligen, bestenfalls ein
bischen ulkigen Bureaukratismus. Sie liebt die Blum-
men, aber sie läuft hochmütig ungezogen in sittsam
umzäunte Rasenbeete hinein, um sie zu pflücken und
schlägt den steifbeinigen Warnungstafeln ein Schnipp-
chen. Sie lacht gerne und uferlos ein schönes, heid-
nisches Gelächter.
      Vor dem Krieg erschien im Saturn-Verlag in
Heidelberg ein schmales Büchlein: „Die Schaukel.“
Skizzen von El Hor. Auch das darf man offenbaren:
El Hor und El Ha sind dieselbe. Alfred Kerr brachte
als erster ein paar dieser merkwürdig geradeaus
orientierten Geschichten in seiner Zeitschrift „Pan“.
Es ist verwunderlich, daß die Kostbarkeit dieser An-
merkungen, das unbeirrte Temperament, das sich
hier ungeniert mit dem Leben auseinandersetzte, nicht
mehr Aufmerksamkeit erregt haben.
      El Ha, die ohne Prätention dem Literarischen aus
dem Wege geht, gibt unpathetische Referate aus der
Werkstatt der Natur und des Eros. Die Perversion
des Geschlechts, das in der Qual der Kreatur eigen-
willige Erlösungen aufgräbt, der inbrünstig dumpfe
Drang des Lustmörders quellen überklar aus dem
Gefüge ihrer Notizen. Eine, die sich grenzenlos mit
der Erde verschwistert fühlt, mit Sonne und Luft,
sanften und bösen Gedanken, deckt im Vorüberschreiten
Zusammenhänge auf, gibt ungefähr die Geheimnisse
der Melenacholie und der Liebe preis. Sie ist primi-
tiv in dem Sinne, der nicht das Gegenteil von
„mondän“ bedeuten möchte. Sie ist seit Peter Alten-
berg das feinste, subtilste Genie der Skizze.