Prager Künstlerfasching vor zwanzig Jahren
Das war in dem kleinen Hofzimmer im Deutschen Hause, wo der Verein bildender Künstler residierte. Jugendlaune, Uebermut, Scherz und Gelächter sind mit dem Andenken an diese Wochensitzungen verwoben, die den Verein und seine Gäste zu froher Geselligkeit versammelten. Alle, die Zukunft in sich spürten, die später in der Welt zu Rang und Ansehen gelangten, haben diese Runde passiert, haben im Anschluß ans Malervolk, an bärtige Invaliden des Pinsels und hundsjunge Akademiker hier Feierabend gehalten. Der junge Rilke trug seine ersten Verse in das ledergebundene, mit Köpfen und Randleisten verschnierte Gedenkbuch ein. Moissi sang hinter der strohumflochtenen Chiantiflasche seine italienischen Tiraden. Orlik produzierte vor mitternächtlich gestimmtem Publikum seine Apachentänze. Teschner hatte die Wände mit einem drolligen Fries nicht gerade geschmeichelter Konterfeis geschmückt, der die Stützen des Ensembles, Damen und Herren, in boshaft karikierten Tierbildern festhielt. Da war ein alter Bildhauer, der es besonders scharf auf die Mädchen hatte, als wütender Stier zu sehen, ein lebelustiger Lyriker als Sumpfvogel, Max Oppenheimer, im vertrauten Kreise auch Mungo genannt, als Affe. Jeder gab Improvisationen zum Besten, die er mit Vorliebe meisterte, Pfaffenpredigten oder stachlige Gedichte, Schattenspiele oder bravouröse Leistungen als Imitator. Hier wurden Schillers Räuber gemimt mit Ferdinand Onno als alter Moor im Turme, mit und ohne Amalia. Hier wurde der Vereinskassier, wenn die Wogen der Freude am höchsten fluteten, nicht immer vergeblich mit Bitten bestürmt, zum allgemeinen Wohle aus öffentlichen Geldern eine Batterie Moselflaschen zu stiften. Da passierte eines Tages eine unliebsame Entgleisung, die den Spektakel für eine Weile dämpfte und zur Vorsicht einlud. Der Verein hatte bisher zur Förderung seiner künstlerischen Arbeiten von einem großen Finanzinstitut eine jährliche Unterstützung erhalten, um die zur Jahreswende immer von neuem angesucht wurde. Da hatte denn der Kassier in seine Aufstellung geleisteter Ausgaben, die neben dem Tätigkeitsbericht dem Gesuche beilag, einen Posten diverse Bowlen eingetragen, der das Kopfschütteln der Herrn im Verwaltungsausschuß erregte. Die Unterstützung blieb aus und es bedurfte langwieriger persönlicher Interventionen, um das Odium der Liederlichkeit an maßgebender Stelle mit guten Gründen zu zerstreuen und dem Zustrom des entbehrten Geldes wieder die Wege zu öffnen.
Auch Künstlerfeste respektablen Formats wurden in dem schmalen Zimmer des Hintergebäudes gefeiert, die wochenlanger Vorbereitung bedurften und die eine hingebungsvolle Regie mit erlesenem Programm ausstattete. Ein Faschingsabend, an dem der Maler Mopp als kohlschwarzer Neger paradierte, Teschner zu fröhlichen Muritaten gespenstische Bilder zeichnete, an dem ich selbst im kurzen Chansonettenröckchen auf der Bühne stand, um nach der Pause im schlanken Damenreitkleid, schwarzlockig und ernst als Maria Deward, als weiblicher Star der Elf Scharfrichter wiederzuerscheinen, war von humorigen Lichtern einer wirklichen Lustbarkeit bestrahlt und wird mir immer unvergessen bleiben. Zahlreich sind die Lieder und Bänkelsänge, die zur drastischen Verherrlichung prominenter Persönlichkeiten im Prager Kunstleben damals entstanden sind, die lange Jahre von den Schülern der Kunstakademie zum Aerger der Professoren gesungen wurden und die bei solchen Gelegenheiten, auf verräterische Zettel gedruckt, von den Löwen und Löwinnen des Abendprogramms verschleißt, einen reißenden Absatz fanden. Wie hieß doch der Vers, der dem alten Archäologen zum Preis, damals noch Hagestolz, Liebhaber der Künste und der schönen Frauen, von gröhlender Tafelrunde unerbittlich geträllert wurde:
Doch was wohl die Mädchen am meisten gepackt,
Tria - Holla - triholla - am meisten gepackt,
Das war ohne Zweifel sein prächtiger Akt,
Tria - Holla - triholla - sein prächtiger Akt.
Auch die Konkordia, vor 20 Jahren noch der Mittelpunkt schöngeistiger Temperamente, veranstaltete, von dem fröhlichen Treiben der bildenden Künstler angesteckt, enige Faschingsabende im großen Stil, zu denen auch der Nachwuchs respektlos rumorender Jugend als Gefolgschaft aufgeboten wurde. Ein Harakiri-Abend im Zeichen der Selbstsatire, ein Abend Bei fahrenden Leuten, zu dem eine unanständige Zeitung - die Wanderniere - die Stimmung vorbereitete, gaben, im Saale des Zentralhotels vor geladenen Gästen veranstaltet, diesen noch lange nachher den Gesprächsstoff. Oskar Kraus, der unsterblich gewordene Verfasser der Meyriade, reimte zu diesem Behufe eine dramatische Historie, in der ein heimischer Poet mit Schlapphut und Künstlermähne täuschend von einem jungen Malersmanne dargestellt, die Fruchtbarkeit seiner Muse mit edlem Stolze rühmte:
Ich dichte an allen Orten,
Ich dichte sogar auf den Aborten.
Worauf sein konkurrent und Kollege in Apoll, damals gerade Sprachenlehrer an einer staatlichen Handelsschule, abweisend indigniert mit den Worten replizierte:
An solchen Orten dichte ich nie -
Ich dichte nur in der Handelsakademie. -
Auch ein Preis- und Wettdichten, an dem in der verfügbaren Garde der Lyriker unter andern der junge Max Brod auffiel, fand verständnisvollen Widerhall im Publikum, das ohne Verlangen und ohne Ausblick auf ablösenden Tanz von einem monströs erweiterten Programm rechtschaffen amüsiert bis in die Morgenstunden standhielt.
Belustigungen dieser Art sind seither anscheinend auch in Künstlerkreisen stark aus der Mode gekommen. Charleston und Blues, Tango und Foxtrott beherrschen den Karneval und am Rande der Saison steht unheilverkündend der Schatten des Black-Bottom. Aber die geistige Akrobatik, die in den Vergn¨¨gungen steckte, die sich und den lieben Mitbürgern zum nutzbringenden Zeitvertreib den Zerrspiegel übermütiger Laune vorhielten, war der Akrobatik moderner Tanzkunst und ihrer Mitläufer mindestens ebenbürtig. Und da Lachen, das boshaften Witz, ironischen Ulk mit Beifall quittierte, kam aus den fruchtbarsten Bezirken herzerquickender Heiterkeit, aus den Bzirken der Schadenfreude.
Prager Presse. Jg. 7. Nr. 15 v. 16. Januar 1927, S. 3.
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