ZENSUR
Dresden
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Im Vergleich zu den Eingriffen, die später in Berlin vorgenommen wurden, muten die Bedenken und Eingriffe der Intendanz in Dresden, wo am 26. Januar 1911 die Uraufführung stattfand, geradezu geringfügig an.
In einem leider verschollenen Brief des Dresdener Intendanten Nikolaus Graf von Seebach vom 1. Juli 1910 teilte Seebach gegenüber Strauss seine Bedenken über eine ganze Reihe von ihm als »anstößig« empfundenen Stellen mit, ein Schreiben, das Strauss an Hofmannsthal mit dem Nachsatz weiterleitete: »Lesen Sie und erwägen Sie, bitte, diesen Brief mit Hoftheaterstempel.« Hofmannsthal antwortete Strauss: Die Einwendungen Graf Seebachs scheinen mir sehr beachtenswert. Denn was ihn so choquiert, wird auch andere choquieren (nicht bloß in Hoftheatern), und wozu sich einen Teil des Publikums überflüssigerweise entfremden?
Also:
1. Daß die Marschallin schon außer Bett, ist ja mit Roller (bezüglich Regiebuch und Dekoration) schon längst fixiert.
2. Die Stelle in Akt II. daß man in Paris Einladungen macht, um zu sehen, was zwischen jungen Eheleuten vorgeht, möchte vorschlagen wegzulassen. Hoffe, daß Sie es auch in der Musik möglich machen können. Denn was immer ich an die Stelle setzte, ist pointelos, eine öde leere Stelle, denn eben nur, daß er das sagt, ist ein Witz. Also, bitte, lassen Sie es weg und stellen den Übergang her.
3. Die etwas arge Stelle des Ochs im Terzett (Akt I) werde ich durch eine zähmere im gleichen Rhythmus ersetzen.
4. Die Stellen in der großen Arie des Ochs, insbesondere daß »er nicht nach dem Kalender forciert ist«, scheinen mir doch nicht so arg. Vielleicht läßt sich darüber mit Seebach noch sprechen, ich meine Ihrerseits, denn ich will nur mit Ihnen zu tun haben, die Vertretung nach außen soll einheitlich durch Sie geschehen. –
Wenn Sie dann schließlich wünschen, ändere ich solche Stellen, aber durch solche Verwässerung ist diese »Arie« natürlich in Gefahr, hundslangweilig zu werden.
Mitte August gingen dann einige Text-Milderungen an Strauss mit Hofmannsthals Anmerkung: inliegend die drei wichtigsten Milderungen (Fasanenstelle, Stelle über Paris, Heu-Stelle). Diese Milderungen wollen wir aber dann gleichmäßig für alle Theater akzeptieren, denn zweierlei Textbücher herstellen wäre sehr mißlich, und wozu durch die paar Stellen, die in der gemilderten Form ungefähr ebensogut sind, unnötig Teile des Publikums vor den Kopf stoßen! Der neue Wortlaut war auf einem Blatt mit der Überschrift Gewünschte Veränderungen notiert, wobei sich die Seitenzahlen auf die typierten Handexemplare von Strauss bezogen: |
Act I. 25 (Fasanenstelle)
Baron: Weiss mich im Heu und im Stroh zu benehmen
Weiss im Alcoven mich zu benehmen.
Hätte Verwendung für tausend Gestalten
Tausend so Jungfern festzuhalten.
Wäre mir keine zu junge, zu herbe
Keine zu niedrige, keine zu derbe!
Tät mich für (= vor) keinem Versteck nicht schämen
tät aufm Baum und im Korn mich bequemen –
seh ich was Liebs, ich muss mirs nehmen!
u.s.f.
Act II. Seite 15 (Stelle über Paris.)
Geniert Sie sich leicht vor dem Vetter Taverl?
Da hat Sie Unrecht. In der grossen Welt
wo doch die hohe Schul ist für Manieren
da gibts frei nichts
was man nicht willig pardonnieren thät',
wenns nur mit einer adligen noblesse
und richtigen Galanterie vollführet wird.
Ferner schlage vor Act I. S. 25. die Stelle
Muss halt ein Heu in der Nähe dabei sein
zu mildern in:
Darf halt kein Mensch in der Näh nicht dabei sein!
(was im gleichen dummdreist schlauen Ton zu singen ist) |
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Am 22. August kam die Antwort von Strauss: »Werde alle Textfragen möglichst nach Ihren Wünschen erledigen. Graf Seebach beanstandet in der Fasanenstelle auch jetzt noch ›Heu und Stroh, Baum und Korn‹. Können Sie das noch mildern? Erbitte baldige Antwort!«
Drei Tage später erwiderte Hofmannsthal: Proponiere also:
Weiß mich ins engste Versteck zu bequemen
weiß im Alcoven galant mich zu nehmen
u.s.f.
und die gleiche Zeile dann in der Wiederholung. Freilich schmeckt der Trank um so schaler, je mehr Wasser man auf die Art hineintut, und das Faunische ist ja eigentlich die raison d'être dieser ganzen Szene. Aber sei's immerhin. Alle guten Wünsche für die Arbeit.
Am 29. August beendete Strauss das Hin und Her mit der an Hofmannsthal gerichteten Feststellung: »Die Änderung zugunsten der Prüderie und Heuchelei ärgert mich nach wie vor. Ich habe nun folgendes getan und erbitte hierfür Ihre Zustimmung! Fasanenstelle in Textbuch und Klavierauszug geändert. Fasanenstelle in der Partitur stehen gelassen! ›Muß halt ein Heu‹ im Textbuch geändert, in Klavierauszug und Partitur stehen lassen. Die Stelle wäre musikalisch zu matt, und es handelt sich doch nur darum, nicht unsere Komödie abzuschwächen, sondern die Leute, die vorher das Textbuch in böser Absicht lesen, zu bluffen! Die Stelle von Paris im Textbuch geändert, im Klavierauszug und Partitur stehen gelassen!«
An Nikolaus Graf von Seebach schrieb Strauss: »In Dresden kann natürlich die Marschallin (in der ersten Szene) schon aufgestanden sein, wenn man daselbst an dem Vorhandensein eines Bettes Anstand nimmt und nicht wahrhaben will, dass sich die Menschen zum Schlafen ins Bett legen. Denn zu andern angenehmen Funktionen ist ja bekanntlich schon ein Bett nicht nötig. Ich persönlich habe für derlei Bühnenästhetik gar kein Gefühl: Ich benehme mich im persönlichen Leben anständig und habe es deshalb nicht nötig, prüde zu sein.« Und der Komponist gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Stück nicht jeder Pointe beraubt werden möge, »an der der Anständige sich erfreut, bei der der Schweinigel züchtig die Augen niederschlägt.«
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ZENSUR
Berlin
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Bevor es zur Aufführung in Berlin kam, die schließlich am 14. November 1911 über die Bühne gehen konnte, mussten Hofmannsthal und Strauss dem dortigen Intendanten Georg Graf von Hülsen-Haeseler weitgehend freie Hand zu Eingriffen in den Text lassen, um diesen „hoffähig“ zu machen. Diese Eingriffe des Intendanten beschränkten sich jedoch nicht auf vereinzelte Begriffe – wie zum Beispiel bei der Aufforderung der Marschallin an Octavian im ersten Akt, er solle seinen Degen „hinters Bett“ werfen, woraus in Berlin „hintern Schirm“ wurde – sondern umfassten insbesondere für Textpassagen des Ochs einschneidende Kürzungen und führten in den verbliebenen Passagen zu heute höchst belustigend erscheinenden Textveränderungen. Die linke Spalte bietet den Text der Partitur, die „Textmilderungen“ in der rechten Spalte werden zitiert nach Julius Kapp, Richard Strauss und die Berliner Oper. Festschrift der Berliner Staatsoper zu des Meisters 70. Geburtstage. Berlin-Schöneberg: Max Hesse, 1934, S. 30f.:
Erster Akt, „Mägdeerzählung“ des Ochs, die erheblich gekürzt und in den verbleibenden Teilen „gemildert” wurde: |
Wo nicht dem Knaben Cupido |
ein Geschenkerl abzulisten wär'! |
Dafür ist man kein Auerhahn und kein Hirsch, |
sondern ist man Herr der Schöpfung, |
dass man nicht nach dem Kalender forciert ist, |
halten zu Gnaden! Zum Exempel der Mai |
ist recht lieb für's verliebte Geschäft, |
das weiss jedes Kind, |
aber ich sage: |
Schöner ist Juni, Juli, August. |
Da hat's Nächte! |
Da ist bei uns da droben so ein Zuzug |
von jungen Mägden aus dem Böhmischen herüber: |
ihrer zweie, dreie halt ich oft |
bis im November mir im Haus. |
Dann erst schick' ich sie heim! |
Zur Ernte kommen sie und sind auch ansonsten an-
stellig und gut. – |
Dann erst schick' ich sie heim. – |
Und wie sich das mischt, |
das junge, runde böhmische Völkel, schwer und süß, |
mit denen im Wald, mit denen im Stall, |
dem deutschen Schlag scharf und herb |
wie ein Retzer Wein – |
wie sich das mischen tut! |
Und überall steht was und lauert und schielt durch
den Gattern, |
und schlieft zueinander und liegt beieinander, |
und überall singt was |
und schupft sich in den Hüften, |
und melkt was |
und mäht was |
und plantscht und plätschert was im Bach und in
der Pferdeschwemm. – [Replik Marschallin] |
Wollt, ich könnt sein wie Jupiter selig in tausend
Gestalten! |
Wär' Verwendung für jede! [Replik Marschallin] |
Je nachdem, all's je nachdem. |
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Wo nicht dem Knaben Cupido |
ein Geschenkerl abzulisten wär‘! |
Dafür ist man kein Simpelfex und kein Geck, |
sondern ist man Herr der Schöpfung, |
daß man halt frei ist im Schalten und |
Gusto, halten zu Gnaden! Zum Exempel der Mai |
ist recht lieb für's verliebte Gemüt, |
das weiß jedes Kind. |
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Das Frauenzimmer hat gar vielerlei Arten, |
wie es will genommen sein. |
Da ist die demütige Magd. |
Und da: die trotzige Teufelskreatur, |
haut dir die schwere Stalltür an den Schädel – |
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Das Frauenzimmer hat gar vielerlei Arten, |
wie es will gewonnen sein. |
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Und da ist, die kichernd und schluchzend |
den Kopf verliert. Die hab ich gern! |
Und jener wieder, der sitzt im Auge |
ein kalter, rechnender Satan. |
Aber es kommt eine Stunde, |
da flackert dieses lauernde Auge, |
und der Satan, |
indem er ersterbende Blicke dazwischen schießt, |
(mit Gusto) der würzt mir die Mahlzeit
unvergleichlich. [Replik Marschallin] |
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Da ist, die kichernd und neckisch |
das Köpfchen dreht, die hab' ich gern, |
und jener wieder, der sitzt im Aug' |
ein ernster, frostiger Schleier. |
Aber es kommt eine Stunde, |
da flackert dieses frostige Auge |
und Cupido, indem er süß seligen |
Fingers den Bogen spannt, zerreißt |
diesen Schleier mit raschem Pfeil. |
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Und wär eine – haben die Gnad – die keiner
anschaut:
Im schmutzigen Kittel schlumpt sie her, |
hockt in der Asche hinterm Herd – |
die wo du sie angehst zum richtigen Stündl – |
die hat's in sich! |
Ein solches Staunen – |
gar nicht begreifen können |
und Angst und Scham; |
und auf die letzt' so eine rasende Seligkeit, |
dass sich der Herr, |
der gnädige Herr |
herabgelassen gar zu ihrer Niedrigkeit. [Replik Marschallin] |
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Da gibt es welche, die wollen beschlichen sein,
(alles nur in halblaut vertraulichem Ton) |
sanft wie der Wind das frisch gemähte Heu be-
schleicht. |
Und welche – da gilt's |
wie ein Luchs hinterm Rücken heran |
und den Melkstuhl gepackt, |
dass sie taumelt und hinschlägt!
(behäbig schmunzelnd) |
Muss halt ein Heu |
in der Nähe dabei sein. [Replik Marschallin] |
(sehr ungeniert zu Octavian)
Weiß mich in Heu und Stroh zu bequemen, |
weiß in Alcoven galant mich zu benehmen. |
Hätte Verwendung für tausend Gestalten, |
tausend Jungfern festzuhalten.
Hirschen und Hahnen geben mir Laune,
seh ich Fasanen sauber sich paaren
juckts mich gefiedert dazwischen zu fahren –
Tät auf'm Baum und im Korn mich bequemen,
seh ich was Lieb's: ich muß ich muß mir's
nehmen. |
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Da gibt es welche, die wollen hofieret sein,
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sanft, wie der Wind das frisch gemähte Heu umweht.
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Und welche – da gilt's, |
wie der Blitz aus der Wolke heraus - |
um die Hüften gepackt, |
und das Küßchen muß sitzen.
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Gefällt ihr halt schon, |
obgleich sie erschreckt tut. |
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Zweiter Akt, Ochs und seine Aufforderung an Octavian, der künftigen Gemahlin „Augerln“ zu machen:
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Ist wie bei einem jungen ungerittnen Pferd. |
Kommt alls dem Angetrauten letzterdings zu Gute, |
wofern er sein eh'lich Privilegium |
zu Nutz zu machen weiß.
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Ist wie bei einem zieren, zimperlichen Ding. |
Kommt späterhin dem jungen Ehgespons zugut, |
Sofern er ihr weiblich Privilegium |
so recht zu haben weiß.
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Zweiter Akt, „Walzerlied“ des Ochs:
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Wird kommen über Nacht, |
dass sie ganz sanft |
wird wissen, was ich bin zu ihr. |
Ganz wie's im Liedel heisst – Kennt sie das Liedel?
La la la la la –
Wie ich dein Alles werde sein! |
Mit mir, mit mir keine Kammer dir zu klein, |
ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang, |
mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang! – |
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Wird kommen mit der Zeit |
daß Sie ganz sanft |
wird wissen, was ich bin zu Ihr. |
Ganz wie's im Liedel heißt – kennt Sie das Liedel?
Lalalalala –
Wie ich dein alles werde sein! |
Mit dir, mit dir, halt in Treuen stets allein, |
ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang, |
mit mir, mit mir keine Weil’ dir zu lang. |
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