In Bearbeitung

Texte

1. Historische Quellen / Analogien
2. Literarische Quellen / Analogien
3. Darstellungen zu einzelnen Aspekten in der Sekundärliteratur
4. Fremdsprachige Texte, die noch nicht in den oben aufgeführten Kategorien zitiert und übersetzt wurden

1. Historische Quellen / Analogien

Sehr oft tauchen in Hofmannsthals Werk historisch und geographisch eindeutig fixierbare Ereignisse und Orte sowie Namen von Personen auf, die es tatsächlich gegeben hat, historisches Wissen, das der Dichter nachweislich auch aus der Lektüre von Geschichtswerken bezog – so zum Beispiel aus Eduard Vehse, ›Geschichte des österreichischen Hofs und Adels und der österreichischen Diplomatie‹. Die Bände sind in seiner nachgelassenen Bibliothek enthalten und wurden besonders intensiv für seine Arbeiten über Prinz Eugen genutzt, wie zahlreiche Annotationen beweisen. Doch sind auch eine ganze Reihe von Namen und Begebenheiten – wie z.B. Jagden und die strengen Moralvorstellungen zur Zeit Maria Theresias -, die im ›Rosenkavalier‹ ihren Niederschlag fanden, in Vehses Geschichtswerk enthalten. Auf entsprechende Darstellungen in den Tagebüchern des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch machte zuerst Adam Wandruszka 1967 aufmerksam.

Johann Josef Khevenhüller-Metsch

Khevenhüller-Metsch, Rudolf Graf und Hanns Schlitter. Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, Kaiserlichen Obersthofmeisters. Bd. 1: 1742-1744; Bd. 2: 1745-1749. Wien und Leipzig: Adolf Holzhausen und Wilhelm Engelmann, 1907; 1908.

Bd. 1, S. 179:
Den 3. [Oktober 1743] kehrte mann nach genohmenen Frühstück in Chaisen zurück nach Schönbrunn, allwo wegen des Vorabend S. Francisci, als des Herzogs hohen Nahmenstags, zumahlen solcher für dises Jahr an einen Freitag, da keine offentliche Festivitet bei Hoff gehalten zu werden pflegt, einfallet, nicht allein große Gala angelegt und nebst großen Soupé Bal gehalten, sondern auch das Schloß und der mittlere Prospect des Gartens mit villen Lampions illuminiret und von der hiesigen operischen Bande eine Entrée in orientalischer Tracht durch den Garten und hierauf ein Ballet im Saal produciret wurde. Beides, sowohl die Illumination als der Einzug deren Operisten geschahe auf Veranstaltung des niderländischen Praesidenten Don Emanuel de Sylva, welcher ein Sohn des Zeit voriger kaiserlicher Regierung ville Jahr als portugiesischen Bottschaffters dahier gestanden auch in Wienn verstorbenen Comte Taroucca ist und dahero par abus nach seines Vattern nur angenohmenen und nicht Famili Nahmen ebenfahls der Graff Taroucca benammet wird.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 12, Zeile 20 / 20)

Bd. 1, S. 196:
Den 23. [Dezember 1743] kommt die Königin auf die Paarische Reut Schull, um die Fürstin v. Lamberg reuten zu sehen, welche verschiedene alte Schull Pferd herumgetummelt. Seitdeme unsere allergnädigste Frau eine solche Passion für das Reuten gezeigt, hatten unsere Weiber die Rage, ihr nach zu ammen; auch einige deren bedagten Frauen, worunter obige furwahr – ohne ihr Unrecht zu thun – mitgezehlet werden muß [Maria Aloisia v. Lamberg, geb. Gräfin Harrach, war zu diesem Zeitpunkt 41 Jahre alt] thaten zwar meistentheils unter den Vorwand ihrer Gesundheit, worauf aber vorhin keine gedacht hatte, sich auf die Cavalcade verlegen; und wie ich anfänglich gesehen, daß, wann ein Weib daher geritten gekommen, ihr fast alle Kinder auf der Gassen als etwas seltsammen nachgeloffen, so thate mann sich zulezt daran also gewohnen, daß gar nichts mehr darauß gemacht wurde, zumahlen da mann fast mehr Weiber als Männer herum reuten sahe.

Bd. 1, S. 215:
Eodem ware bei den Fürsten v. Lamberg Gesellschaft wegen des Versprechens der Freile v. Rappach mit einem portugesischen Marchese Meneses, dessen Mutter auch eine Deutsche und gebohrene Breunerin ist.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 21, Zeile 41 / 43)

Bd. 1, S. 239:
Den 20. [August 1744] ware wegen des Fests des heiligen Königs Stephani, Patroni Regni, offentlicher Kirchengang in die Dombkirchen. Das Hoh-Ammt sange der Bischoff v. Erla und zwar anheut an dem Hoh-Altar; und weillen die ordinari Canzel davon zu weit entfernet, so wurde eine andere in dem Presbyterio gestellet. Es predigte anwiederummen unser Hoff Prediger, dessen heutige Panegyris der Königin und uns anderen, qui pensons uniment, besser dann die leztere, welche gar zu schmeichelhaft und aufgebuzt gewesen, gefallen hat.
Mittags ware nebst denen gewöhnlichen zwei Taffeln annoch eine dritte von 50 Couverts in des Herzogs Anticamera zubereitet, an welcher sämtliche Praesentes congregationis Posoniensis tractiret wurden und worbei der an seines Grand-Oncle des Palatini Stelle angesezte presburgische Obergespann Graff Rudolf Palffy nebst dem Dienst Cammerherrn Graffen Frantz Esterhasy, den mann par sobriquet Quinquin zu nennen pfleget, les honneurs machten.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 10, Zeile 4 f. / 4 f.)

Bd. 1, S. 247:
Den 20. [September 1744] kommt die Königin zu denen Ursulinern, der Profession einer Freile v. Saurrau, der Frauen Aya Dochter, beizuwohnen. Nachmittags hatten wir Toison Vesper.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 12, Zeile 20 / 20)

Bd. 2, S. 80:
Den 10. [März 1746] starb die alte Gräffin Josepha v. Starhemberg, gebohrne v. Jörger, im 77. Jahr ihres Alters. Ich ware noch vorgestern abends sie zu besuchen und verliesse sie bei ihrem gewöhnlichen Piquet Spill, zwar mit einem Husten behafftet, jedoch ohne Alteration, also zwar, daß sie nicht das Bett hütten wollen, sondern in ihrem sehr kalten Camin Zimmer gespillet und alle Leuth empfangen; allein bei dem Schlaffengehen überfielle sie ein gählinger Frost, und in der Nacht nahme das Fieber dergestalten über Hand, daß mann ihr des Morgens zwei Mahl zur Ader gelassen; nichts destoweniger wolte sie die auf gestern – wegen des Franciscae Tag – ihrer Schwester, der Freile Jörgerin, und der Antonin Dietrichstein zu Ehren geladene Taffel nicht absagen lassen, wiewollen die Gäste von dem Confect fort eilen müssen, da mann ihr wegen zunehmender Schwachheit das heilige Viaticum gebracht, worauf sie dann heut Vormittag gegen halb 12 Uhr sanfft und seelig in den Herrn verschiden.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 21, Zeile 41 / 43)

Bd. 2, S. 83:
Den 28. [März 1746] wohnte ich für das erste Mahl der sub praesidio des Obristhoffmeisters zu Ausmachung deren Jurisdictions Strittigkeiten vorn Jahr aufgestellten Commission bei, zu welcher mich I.M. die Kaiserin jüngsthin nebst dero Obristhoffmeister, dem Fürsten v. Trautsohn benant hatten, und die (ausser denen benanten) in denen Graffen v. Wurmbrand, Kollowrath, Ferdinand Hartig, dannen denen Hoffräthen Turba böhmisch-, Hüttner hungarisch-, Doblhoff oesterreichisch- und dem Hoff Cammer Rath Gschwandtner bestehet, mit der Erlaubnuß (jedoch an dem Praeside) auch andere Räthe nach Willkuhr und Guttbefinden darzu zu beruffen.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 12, Zeile 20 / 20)

 

Eduard Vehse

Vehse, Eduard. Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation.7.-17. Band. Zweite Abtheilung: Geschichte des österreichischen Hofs und Adels und der österreichischen Diplomatie. 1. - 11. Theil. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1851-1853.

• Vehse, 10r Band, Zweite Abtheilung, Vierter Theil, Seite 111-112, im Abschnitt über den Civilstaat und deren oberste Behörde, den Geheimen Rath. Als 7. Mitglied wird angeführt: 7. Graf Johann Baptist Werdenberg, oder Verda von Verdenberg, wie er in der niederösterreichischen Adelsmatrikel eingetragen wurde, der schon oben erwähnte Emporkömmling, den Ferdinand grafte, von Geburt ein Italiener, östreichischer Hofkanzler. Er war mit Eggenberg und Questenberg einer der Hauptfreunde Friedland's und ein Liebling Ferdinand's. Er starb 1648 zu Wien, 66 Jahre alt, und hat das Capuzinerkloster zu Mödling gebaut. Er besaß sehr reiche Güter, die Herrschaften Namiest in Mähren, Grafenegg im Lande unter der Ems, katzow im Czaslauer Kreise, aus der böhmischen Rebellenbeute (eine Herrschaft auf 116,000 Schock Groschen, also an 350,000 Gulden taxirt und ihm um 116,000 Gulden käuflich überlassen) und andere Güter. Sie kamen nach dem Aussterben des Geschlechts 1733 an die Grafen Enckefort (der Feldmarschall Adrian Graf Enckenfort war der Schwiegersohn des Kanzlers) und nach deren Aussterben 1738 an die Grafen Breuner.

Nach der Vorstellung aller vierzehn Mitglieder des Geheimen Rathes und der vier Referendare heißt es (S. 116 ff.): In die Regierungszeit Ferdinand's fällt auch schon der Gebrauch eines sogenannten engeren Conferenzraths. Er ward beim zweiten Sturze Wallenstein's berufen und zusammengesetzt aus dem römischen König, Fürst Eggenberg, dem Bischof von Wien, Graf Trautmannsdorf, Graf Schlick al Hofkriegsrathspäsident und Marchese Franz Anton Caretto di Grana als Hofkriegsrath, dazu Pater Lamormain und der spanische Gesandte Ognate.
2. Die zweite Staatsbehörde war der Reichshofrath. [...]
3. Die dritte Behörde war der Hofkriegsrath, [...]
4. Die vierte Behörde war die kaiserliche Hofkammer, [...]
5. und 6. Zwei geistliche Räthe. [...]
7. Eine dritte neu und nur temporär niedergesetzte Behörde war: der Confiscationsrath, [...]
8. Die achte wichtige Behörde war die östreichische Hofkanzlei: sie
stand unter dem genannten Italiener Johann Baptist Graf Werde von Werdenberg. [...]
(Siehe Zeilenkommentar Seite 10, Zeile 2 / 2)

• 12r Band, Zweite Abtheilung, Sechster Theil, S. 295:
Nach dem Osterfest vom April bis Juni zog der Hof nach Laxenburg. Merkwürdig war, daß wenn der Kaiser im Frühling sich zu dieser gewöhnlichen Lustreise nach Laxenburg erhob, dorthin nicht bloß die gesammte Hofstatt, sondern auch die meisten Kanzleien ihm folgten: die Herren wurden in die nächsten Flecken und Dörfer verlegt und konnten hier ebenfalls ihre Frühlingslust genießen. Laxenburg war der Lieblingsaufenthalt Carl's VI. Der Hof erlustirte sich mit der Reiherbaize daselbst. Der Wiener Staats- und Standeskalender aufs Jahr 1727 berichtet, daß im Jahre 1726 von Kais. Maj. zu Laxenburg durch die Falknerei gebaizt wurden:

  Raiger,
Hasen,
Elstern,
Krähen,
Milans (Hühnergeyer),
Wilde Enten,
Mandelkrähen,
Raben
_____________
Zusammen 278.
 

Zu Anfang Juli endlich erhob sich der Hof nach einem zweiten Lustschloß, der Favorita in der Wieden, einer Vorstadt von Wien, wo er bis zum October verweilte. Er erlustirte sich in der Favorite mit dem Scheibenschießen und mit der Jagd. Alle Sommer wurden zwei große Hirschjagden und im Herbst ein großes wildes Schweintreiben gehalten.
(Siehe Anmerkungen des Paralleldrucks Seite 19, Zeile 35 / 40)

13r Band, Zweite Abtheilung, Siebenter Theil, S. 304-308:
Die Kaiserin, die eine so vollendete Meisterin in der Verstellungskunst war, zeigte nur eine Schwäche, aber das war eine sehr große: die Bigotterie. Diese hatte zwei ungemein üble Folgen. Die eine war die gewaltthäthige, mit streng katholischem Eifer betriebene Proselitenmacherei. [...]
[S. 305:]
Die zweite üble Folge der Bigotterie der Kaiserin war: ihre nicht minder gewaltthäthige Fürsorge für Seelenheil und Moralität ihrer Unterthanen. Sie stand gar nicht an, namentlich reiche protestantische Erbtöchter ihren ketzerischen Eltern geradezu zu entführen, sie in Klöstern zu verbergen und dann an gut katholische Hofleute zu verheirathen. So ließ sie die Gräfin Banffy, Schwester des nachherigen Gouverneurs von Siebenbürgen (eines Convertiten), mit diesem Bruder das einzige noch übrige Glied des mächtigsten Zweigs der in Siebenbürgen weitverbreiteten Familie Banffy, die in der helvetischen Confession bei einer Verwandtin in Siebenbürgen erzogen wurde, durch Militair aufheben, nach Wien bringen und katholisch erziehen: sie ward Hofdame und heirathete 1778 den [S. 306] Grafen Johann Esterhazy von Siebenbürgen (gest. 1831). Die Kaiserin schloß eine Menge gezwungener Ehen, die zum Theil lächerlich, zum Theil peinlich, zum Theil verderblich ausfielen. So verheirathete sie, um nur ein Beispiel von den wunderlichen Consequenzen zu geben, die die Ehestiftungswuth der Kaiserin manchmal hatte, eien gutherzigen Grafen Franz Esterhazy, einen ihrer Schützlinge von Kindheit an, mit einer zwar schönen, aber bitterbösen Starhemberg. Diese entführte sehr bald ein höchst interessanter Schulenburg nach der Schweiz. Der Entführer ward durch den östreichischen Geschäftsträger von Nagler reclamirt, ausgeliefert und nun als Entführer und Ehebrecher zum Tode verurtheilt. Der von seiner bösen Ehehälfte befreite Esterhazy bat ihn aber los und überschüttete ihn noch dazu mit endlosem Danke. Regelmäßig alle Jahre schickte Maria Theresia eine Partie öffentlicher Mädchen in den Banat und nach Slavonien. Ihre Hauptstiftung, die sie zum Zweck der Moralität und noch für einen Nebenzweck, auf den ich sogleich zrückkomme, gründete, waren die s. g. Keuschheits-Commissionen. Fünfhundert Keuschheitscommissarien waren, wie Casanova in seinen Memoiren erzählt, zu allen Stunden des Tags in den Straßen Wiens thätig, um alleingehende Frauenzimmer zur Haft zu bringen, auch wenn es auf die anständigste Art geschah, um Arbeit zu holen oder wegzutragen und sich damit den nöthigen Lebensunterhalt zu beschaffen. Frei nur war und durfte nicht angetastet werden, wer mit einem Rosenkranz in der Hand [S. 307] anscheinend zur Messe in die Kirche ging. Gegen junge Wüstlinge schritt Maria Theresia mit den härtesten Strafen ein. So ward 1752 eine Gesellschaft junger Leute, die unter dem Namen der Feigenbrüdergesellschaft alle Arten von Liederlichkeit trieb, in ihrem Versammlungsort zu Nußdorf bei Wien arretirt. Unter ihnen befanden sich auch zwei junge Rutenberg, Danziger Bürgermeisterssöhne. Ihr Vater bot Geld über Geld, unerbittlich aber ließ sie die Kaiserin ihren Frevel durch Prangerstehn verbüßen. Ueber den angedeuteten Nebenzweck, weshalb die Kaiserin so viel für die Keuschheit bei ihren Völkern that, werden wir durch die Depesche des Grafen Podewils vom 18. Januar 1747 belehrt, der darüber also berichtet:
„Il est constant qu'elle est fort jalouse de son époux et qu'elle fait tout au monde pour empêcher qu'il ne prenne quelque attachement. Elle a fait fort mauvais visage à quelques dames à qui l'Empereur commençoit à en conter. Elle voudroit par le même principe bannir toute galanterie de sa cour. Elle marque beaucoup de mépris pour les femmes qui ont des intrigues et en témoigne presqu'autant pour les hommes, qui les recherchent. Je sais qu'un jour elle a parlé fort vivement au comte d'Esterhazy surnommé Quinquin*), pour lequel elle [S. 308] a d'ailleurs beaucoup d'amitiè et qui est de toutes ses parties de jeu, au sujet d'une intrique qu'il a publiquement avec la femme du comte d'Althann. Elle cherche à cloigner de l'Empereur tous seux qui donnent dans la galanterie et l'on prétend que le comte de Colloredo (der Reichsvicekanzler) qui en fait profession, ne parviendra jamais à être bien dans son esprit. Il a même été pendant un temps dans unse espèce de disgrace pour avoir fait quelques parties de plaisir avec le Prince. La même chose est arrivée encore à plusieurs autres. Elle voudroit faire un ménage bourgeois."
Maria Thersia entschuldigte, als sie es nicht ändern konnte, endlich ihren flatterhaften Gemahl - mit dem Müßiggang und sagte einmal zu ihrer Kammerfrau Greiner: „Laß dich warnen und heirathe nie einen Mann, der nichts zu thun hat!"
[...]
______
*) Bruder des Grafen Nicolaus Esterhazy-Totis, des famosen Diplomaten und Gemahls der Anna Christ, dessen Personalien unten beim diplomatischen Corps folgen.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 82, Zeilen 9 ff. / 10 ff.)

[Weiteres in Vorbereitung]

 

2. Literarische Quellen / Analogien

Louis Artus

Die unzähligen literarischen Quellen, aus denen Hofmannsthal in seiner dichterischen Arbeit schöpfte, lassen sich direkt meist nur mit der Kenntnis früher Textstufen ermitteln, in denen sich der Dichter oft Hinweise auf andere Werke gab, die er für eigene Dichtungen nachlesen wollte. Im Falle des Operettenlibrettos von Louis Artus erlaubte die Veröffentlichung der Tagebücher Harry Graf Kesslers einen umfangreichen Einblick in die Bedeutung, die das Stück zu Beginn der Arbeit am ›Rosenkavalier‹ gespielt hat:

Artus, Louis. L'ingénu libertin, ou La Marquise et le marmiton. Conte galant en 3 actes. Musique de Claude Terrasse. (Paris, Théatre Bouffes-Parisiens, 11 décembre 1907). Paris: Librairie théâtrale, 1908.

artus

S. 125:
Le décor est celui du tableau fameux de Baudoin: »Le Coucher de la mariée«. Au fond, un grand lit, de riche décoration Louis XV. A gauche et au fond, porte derrière un paravent. A droite, premier plan, une autre porte. Sièges, table à coiffer, meubles divers de style exact.
»Das Bühnenbild entspricht dem berühmten Gemälde: ›Das Brautbett‹. Im Hintergrund ein großes Bett mit der üppigen Dekoration der Zeit Ludwigs XV. Links im Hintergrund vor der Tür ein Wandschirm. Rechts im Vorder­grund eine zweite Tür. Sitzgelegenheiten, Toilettentisch, verschiedene Möbel im selben Stil.«
(Zeilenkommentar Seite 11, Zeile 2 f. / 2 f.)

S. 125:
La marquise sommeille encore, sa jolie tête abandonnée sur l'oreiller, une main hors des couvertures. - Faublas, un genou à terre, s'empare de cette main qu'il couvre de baisers.
»Die Marquise schläft noch, ihr hübscher Kopf ruht auf dem Kissen, eine Hand liegt auf der Bettdecke. - Faublas kniet neben dem Bett, hält ihre Hand und küsst sie.«

(Zeilenkommentar Seite 11, Zeile 12 ff. / 11 ff.)

Die herausragende Rolle, die die Operette von Louis Artus mit der Musik von Claude Terrasse am Anfang der Entstehung des ›Rosenkavalier‹ gespielt hat, wurde ausführlich in verschiedenen Publikationen von Michael Reynolds dargestellt:

Reynolds, Michael. The genesis of ›Der Rosenkavalier‹ – a three-way collaboration between Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal and Count Harry Kessler. Rise Bruford College, 2008. [Unveröffentlicht]
S. 36:
I also regard it as highly likely that Kessler mentioned to Hofmannsthal, when giving his full account of L'Ingénu Libertin, that waltz rhythms predominated in the French score: it was then Hofmannsthal (characteristically) in a letter of 24 April 1909 who suggested to Strauss that an old-fashioned Viennese waltz should pervade the whole of the last act.
»Ich sehe es auch als höchst wahrscheinlich an, dass Kessler in seinem Bericht über den ›L'ingénu libertin‹, den er Hofmannsthal gab, erwähnte, dass Walzer-Rhythmen in der französischen Partitur vorherrschten: es war dann (bezeichnenderweise) Hofmannsthal in einem Brief vom 24. April 1909, der Strauss einen alt-modischen Walzer vorschlug, der den letzten Akt durchziehen sollte.«
(Siehe Anmerkung 41)

Reynolds, Michael. The Theatrical Vision of Count Harry Kessler and its Impact on the Strauss-Hofmannsthal Partnership. Diss. University of London, 2013.

S. 229 f.:
From the dramaturgical point of view, the character and behaviour of Ochs have far more in common with two of the male protagonists in L’Ingénu libertin – the Comte de Rosambert and the Marquis de Bay – than they have with Pourceaugnac. These features must therefore derive from Kessler’s narration of the Artus scenario.
»Vom dramaturgischen Standpunkt aus betrachtet, haben Charakter und Benehmen des Ochs weit mehr gemeinsam mit zwei der männlichen Protagonisten im ›L'Ingénu libertin‹ - dem Grafen Rosambert und dem Marquis de Bay – als sie es mit Pourceaugnac haben. Diese Eigenschaften müssen deshalb zurückgehen auf Kesslers Erzählung des Szenars von Artus.«
(Siehe »Von der ersten Idee zu den Schlussdrucken«, S. 140)

S. 232 f.:
The placing of the unusual and somewhat titillating word ‘dégourdieren’ in Ochs’s mouth can only have come from Hofmannsthal’s subsequent reading of the Artus libretto, although Kessler cannot have given a detailed account of the work that he had seen without sketching out the dramatic relationship between Rosambert and Faublas, and between the Marquis de B. and Faublas, right from the outset; and Hofmannsthal’s borrowing of the character traits and dramatic functions of both men, to create a vital, dramatically powerful Ochs, is a long way removed from the entirely passive, beaten before he starts, figure of Pourceaugnac. Strictly in dramatic terms, therefore, it is more convincing to see many of the origins of Ochs of Lerchenau in L’Ingénu libertin rather than in Monsieur de Pourceaugnac. The derivation is very clear.
»Die Verwendung des ungewöhnlichen und in gewisser Weise schlüpfrigen Wortes ‚dégourdieren‘ aus dem Mund von Ochs kann nur von Hofmannsthals späterer Lektüre des Librettos von Artus herrühren, wenngleich Kessler keinen detaillierten Bericht über das Stück, das er gesehen hatte, gegeben haben kann, ohne dabei die dramaturgische Beziehung zwischen Rosambert und Faublas sowie zwischen dem Marquis de B. und Faublas von Anfang an zu skizzieren; und Hofmannsthals Übernahme der Charakterzüge und dramaturgischen Funktionen beider Männer zur Gestaltung eines vitalen, dramatisch überzeugenden Ochs ist weit entfernt von der vollständig passiven, von vornherein zum Scheitern verurteilten Figur des Pourceaugnac. Deshalb ist es in streng dramaturgischer Hinsicht überzeugender, viele der Ursprünge des Ochs eher im ›L'ingénu libertin‹ als in ›Monsieur de Pourceaugnac‹ zu sehen. Die Ableitung ist sehr klar.«
(Siehe Zeilenkommentar zu Seite 54, Zeile 27 ff. / 29 ff.)

S. 274 ff.
It took, inevitably, slightly longer, even though the mechanism for simultaneous resolution of the Marschallin/Octavian/Sophie relationship must have been perfectly clear to Kessler (and to Hofmannsthal) from the outset: the matrix for this, in Act III of L’Ingénu libertin, is the trio between the Marquise, Faublas and Sophie which confronts Faublas with his moment of decision, and which resolves the love triangle in Sophie’s favour. If, moreover, Hofmannsthal was merely referring to the difficulty of getting Baron Ochs offstage quickly and decisively so that the trio could get under way, he also had an elegant and ready-made example in the Artus libretto: immediately before the final chorus, the Marquise dismisses Faublas, suggesting that he marry Sophie in the country and keep out of Paris for a time, for reasons of discretion, and bids farewell to the Comte de Rosambert. In agreeing to go, the latter suggests he might enjoy some ‘compensations’ in return for his silence, but the Marquise turns him down and says she has vowed to behave properly from now on (Artus, p. 164). Hofmannsthal in effect recreates the same moment when Baron Ochs, realizing that Mariandel and Octavian are one and the same, and that Octavian has been having an affair with the Marschallin, wonders aloud what he should think of the whole ‘qui-pro-quo’ (Pahlen, p. 247): the Marschallin, fixing him with a long and steady gaze, reminds him that he is a gentleman and tells him that he should think nothing at all about it. The dramatic complicity thus created between the Marquise-Rosambert and the Marschallin-Ochs, and their respective partings, is identical at this point.
»Unvermeidlich dauerte es [die Auflösung des dramatischen Geschehens im 3. Akt] etwas länger, obwohl der Mechanismus für die gleichzeitige Auflösung der Beziehung Marschallin/Octavian/Sophie für Kessler (und für Hofmannsthal) von Anfang an vollkommen klar gewesen ist: Das Muster dafür ist im 3. Akt des ›L'ingénu libertin‹ die Dreiergruppe von Marquise, Faublas und Sophie, in der Faublas damit konfrontiert wird, eine Entscheidung treffen zu müssen, und in der das Liebesdreieck zu Gunsten Sophies aufgelöst wird. Wenn Hofmannsthal darüber hinaus [in seinem Brief an Kessler vom März 1910] lediglich auf die Schwierigkeit verweist, wie Baron Ochs schnell und endgültig von der Bühne verschwindet, damit das Terzett beginnen kann, so hatte er auch dafür ein elegantes und fertiges Beispiel im Libretto von Artus: Unmittelbar vor dem Schluss-Chor entlässt die Marquise Faublas mit dem Vorschlag, er solle Sophie auf dem Lande heiraten und für eine Weile aus Gründen der Diskretion Paris fern bleiben, und nimmt Abschied vom Grafen Rosambert. Dieser ist bereit zu gehen, erbittet aber als Gegenleistung für sein Schweigen ‚Entschädigung‘. Aber die Marquise lehnt dies ab und sagt, dass sie geschworen habe, von jetzt ab anständig zu leben (Artus, S. 164). Hofmannsthal bildet praktisch denselben Moment nach, wenn Baron Ochs im Augenblick als er gewahr wird, dass Mariandel und Octavian ein und derselbe sind und dass Octavian eine Affäre mit der Marschallin gehabt hat, sich laut fragt, was er über das ganze ‚qui-pro-quo‘ denken soll (Pahlen, S. 247): Die Marschallin, ihn mit einem langen und festen Blick fixierend, erinnert ihn daran, dass er ein Gentleman ist, und sagt ihm, dass er sich überhaupt nichts darüber denken soll. Die so geschaffene dramatische Mitschuld zwischen Marquise-Rosambert und Marschallin-Ochs und die jeweiligen Abschiede daraus sind an dieser Stelle identisch.«
(Siehe Zeilenkommentar zu Seite 92, Zeile 21 f. / 23 f. )

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Das Libretto von Louis Artus ging seinerseits zurück auf:

Louvet de Couvray, Jean-Baptiste. Les aventures du Chevalier Faublas. Paris: Mallet, 1842. Zuerst mehrbändig veröffentlicht mit den Titeln: Une année de la vie du chevalier de Faublas; Six semaines de la vie du chevalier de Faublas; La fin des amours du chevalier de Faublas, 1787-1790; dann: Les amours du chevalier de Faublas, 1791 und Les aventures du Chevalier de Faublas, 1842.

S. 168:
Je la tenais dans mes bras; elle m’échappa pour aller prendre une épée qu’elle aperçut sur un fauteuil. En ajustant le ceinturon, elle dit: »J’ai un joli cheval anglais que je monte quelquefois; nous touchons au printemps, j’aime beaucoup á me promener á cheval dans les environs de Paris: voudrez-vous bien m’accompagner quelquefois, Faublas? [...]«
En me parlant elle avait tiré mon épée, et, s'escrimant en face de moi: »En garde, chevalier, me dit-elle.«
Ich hielt sie in meinen Armen. Sie entschlüpfte mir und ergriff einen Degen, den sie auf einem Fauteuil bemerkte. Sie schnallte ihn sich um und sagte: ›Ich habe ein hübsches englisches Vollblut, das ich manchmal reite. Der Frühling naht heran; ich mache sehr gerne Spazierriete [sic!] in die Umgebung von Paris. Werden Sie mich manchmal begleiten, Faublas? [...]‹
Währenddessen hatte sie meinen Degen gezogen und legte sich in Fechtstellung vor mir aus: ›Aufgepaßt, Chevalier!‹ «

(Zeilenkommentar Seite 12, Zeile 33 / 31 und Seite 41, Zeile 24 / 28, obige Übersetzung von Wolfgang Sorge: ›Die Abenteuer des Chevalier von Faublas. Erinnerungen aus galanter Zeit.‹ Illustriert von F. v. Bayros. Berlin W: Wilhelm Borngräber Verlag Neues Leben, [o.D.], S. 117)

Dass Louvet de Couvrays Roman mit den Abenteuern des jungen Chevalier Faublas bei der Entstehung der Oper eine Rolle gespielt hat, wurde in der Sekundärliteratur sehr früh vermutet, unter anderem von:

Jefferson, Alan. Richard Strauss. Der Rosenkavalier. Cambridge Opera Handbooks 8. Cambridge: University Press, 1985; Neuauflage 1991.

S.15:
Faninal seems to derive directly from the Faublas Aventures where Sophie is the youthful true love of the Chevalier and counterpart to the Marquise. Her third name, Barbara, reminds us that Saint Barbara was the daughter of a pagan, who shut her in a tower and ultimately slew her because she would not renounce Christianity.
»Faninal scheint direkt aus den Abenteuern des Faublas zu stammen in denen Sophie die jungendliche wahre Liebe des Chevalier ist und die Gegenspielerin der Marquise. Ihr dritter Name Barbara erinnert einen daran, dass die Heilige Barbara die Tochter eines Heiden war, der sie in einen Turm einschloss und schließlich ermordete, da sie nicht ihrem christlichen Glauben abschwören wollte.«
(Zeilenkommentar Seite 83, Zeile 6 / 6)

 

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Pierre de Brantôme

Brantôme, Pierre de Bourdeille, Seigneur de. Vies des dames galantes. Nouvelle édition, revue et corrigée sur l'édition de 1740 avec des remarques historiques et critiques. Paris: Garnier, 1868.

Brantôme, Pierre de Bourdeille, Seigneur de. Das Leben der galanten Damen. In wortgetreuer und vollständiger deutscher Übertragung von Georg Harsdoerffer. 2 Bände. Leipzig: Insel-Verlag, 1905.

Zu der schließlich nur in der Partitur enthaltenen Textstelle Hirschen und Hahnen geben mir Laune, | seh ich Fasanen sauber sich paaren | juckts mich gefiedert dazwischen zu fahren ist als Anregung zu denken an das Werk Brantômes. Beide Bände sind in Hofmannsthals nachgelassener Bibliothek erhalten, französischer Text hier zitiert nach einer Ausgabe von 1834, S. 28 und S. 349:

Livre Premier: Sur les dames qui font l’amour et leur maris cocus.
C’est pourquoy un grand prince que je sçay disoit qu’il voudroit ressembler le lion, qui, pour vieillir, ne blanchit jamais; le singe, qui tant plus il le fait tant plus il le veut faire; le chien, tant plus il vieillit son cas se grossit; et le cerf, que tant plus il est vieux tant mieux il le fait, et les biches vont plustost à luy qu’aux jeunes.

Livre VII: Sur ce qu’il ne faut jamais parler mal des dames, et de la conséquence qui en vient.
Il me souvient qu’une fois, luy [Franz II.] estant à Saint Germain en Laye, sur le mois d’aoust et de septembre, il lui prit envie d’aller le soir voir les cerfs en leur ruths, en cette belle forest de Saint Germain, et menoit des princes ses plus grands familiers et aucunes grandes dames et filles que je dirois bien. Il y en eut quelqu’un qui en voulut causer et dire que cela ne sentoit point sa femme-de-bien, ny chaste, d’aller voir de tels amours et tels ruths de bestes, d’autant que l’appetit de Vénus les en eschauffoit davantage à telle imitation et telle veue, si bien que, quand elles s’en voudroient degouster, l’eau ou la salive leur en viendroit à la bouche du mitan, que par après il n’y auroit aucun remede de l’en oster, si-non par autre cause ou salive de sperme. Le Roy le sceut, et les princes et dames qui l’y avoient accompagné. Asseurez-vous que si le gentil-homme n’eust si tost escampé, il estoit très-mal; et ne parut à la Cour qu’après sa mort et son regne.

›Erste Abhandlung: Von den Damen, die der Liebe leben und ihre Gatten zu Hahnreien machen‹:
»
Deshalb sagte ein großer Fürst, den ich kenne: er wolle dem Löwen gleich sein: er wird im Alter niemals weiß; dem Affen: je mehr er es macht, desto mehr will er es machen; dem Hund: je älter er wird, desto größer wird sein Glied; und dem Hirsch: je älter er ist, desto besser kann er's, und die Hindinnen gehen lieber zu ihm wie zu den jungen Hirschen.«

›Sechste Abhandlung: Weshalb man niemals von den Damen übel reden darf, und von den Folgen, die daraus entstehen‹:
»Ich erinnere mich: als er [Franz II.] einmal im August oder September in Saint-Germain en Laye war, faßte ihn die Lust an, am Abend zu den Hirschen in dem schönen Wald von Saint-Germain zu gehen, um sie in ihrer Brunst zu sehn, wobei er seine vertrautesten Prinzen und ein paar große Damen und Fräulein mitnahm, die ich wohl nennen könnte. Da wollte nun einer darüber schwatzen und sagen, das deute durchaus nicht auf eine anständige und keusche Frau, solche tierische Liebschaften und Brünste zu betrachten, weil der Anblick die Begierde der Venus nur zu sehr aufreize, und wenn sie diese überwinden wollten, ränne ihnen das Wasser oder der Speichel in ihrem Munde zusammen, wogegen es nachher kein andres Mittel gebe als Samenspeichel. Der König erfuhr es und mit ihm die Prinzen und Damen, die ihn begleitet hatten. Man kann sicher sein, wäre der Edelmann nicht sofort ausgerissen, so wäre es ihm schlecht gegangen; er kam auch erst nach dem Tode des Königs und nach seiner Regierung wieder an den Hof.«

(Zeilenkommentar Seite 26, Zeile -- / 38 ff. )

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Clemens Brentano

Zu den Reflexionen der Marschallin über das Verrinnen der Zeit gibt es in der ersten Niederschrift die später gestrichene Anmerkung: Ich weiß ein Wort Quinquin, das mein Beichtvater mir einmal gesagt hat. Das ist ein sonderbares Wort, aber man muß es verstehen: Das Leben ist ein Stück der Ewigkeit das fangen wir mit unserm hinten vorgehaltenen Tode uns auf.
Die Metapher, die Hofmannsthal in seinen Werken mehrfach aufgriff, geht zurück auf Clemens Brentano in einem Brief an seine Schwester Bettine aus
Clemens Brentano's Frühlingskranz aus Jugendbriefen ihm geflochten, wie er selbst schriftlich verlangte. Bd. 1. Charlottenburg: Bauer, 1844, S. 218f.:
So giebt es denn nur ein Leben. Damit übrigens Etwas lebe, muß es im Momente erscheinen, und also von der Zeit gefesselt sein; insofern also unser eigenthümlich Leben im Momente liegt, ist es in diesem von der Zeit gefesselt, und hinter jedem Momente liegt dessen Tod; der Tod also befestigt das Leben in der Zeit, die Zeit aber selbst ist ein Produkt von uns, denn wir können eine Ewigkeit denken, also liegt der Tod in der Ewigkeit, und Leben ist nichts als die Ewigkeit, die wir uns zueignen dadurch daß wir uns ein Stückchen von ihr mit einem hinten vorgehaltnen Tod auffangen.
Hofmannsthal übernahm das Zitat aber wohl nicht direkt aus dem ›Frühlingskranz‹, sondern fand es in Gustav Landauers ›Skepsis und Mystik‹, wie eruiert wurde von
Altenhofer, Norbert. Hugo von Hofmannsthal und Gustav Landauer. In: Hofmannsthal-Blätter. 19/20 (1978), S. 43-72:
Denn auch unsere Werke, was wir wirken, solange wir leben, sind Teile, die uns mit dem All verbinden, auch unser Leichnam ist eine Brücke, auf der wir weiter in die Welt hineinschreiten. Wie Clemens Brentano sagt: „Leben ist nichts als die Ewigkeit, die wir uns zueignen dadurch, daß wir uns ein Stückchen von ihr mit einem hinten vorgehaltenen Tod auffangen.“ Das Wort: „Alles was lebt, stirbt,“ ist eine relative, aber triviale und nichtssagende Wahrheit; ihm stellen wir den Satz entgegen: Alles was lebt, lebt ein für alle Mal.
(zitiert nach der Ausgabe: Berlin: Egon Fleischel & Co. 1903, S. 30)
(Siehe Zeilenkommentar Seite 41, Zeile 2 ff. / Seite 39, Zeile 45 ff.)

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Theodor Fontane

Mommsen, Katharina. Fontanes Einfluß auf Hofmannsthal. In: Akten des V. Internationalen Germanisten Kongresses, Heft 3 (1976), S. 364-368.

S. 367:
Was Elemente des Symbolismus betrifft, an denen Fontanes Graf Petöfy besonders reich ist, so inspirierte ein besonders schöner Zug eine berühmte Stelle im Rosenkavalier. Franziska Franz zitiert wiederholt Verse aus Lenaus, ihres Lieblingsdichters, Lied Nach Süden: »Hörbar rauscht die Zeit vorüber | An des Mädchens Einsamkeit.« Die Verse, zu denen sie von Jugend an eine besondere Affinität hat, deuten vor auf ihr Schicksal, damit auf den Ausgang des Romans. Durch den Tod Petöfys wird Franziska vorzeitig das Los der Alterseinsamkeit treffen. Die Zeit wird dann an ihr hörbar vorrüberrauschen wie an dem Dorfmädchen in Lenaus Gedicht. Erinnern wir uns hier: wie herausgesponnen aus denselben Versen Lenaus erscheint auch im Rosenkavalier das Lied der Marschallin von der hörbar verrinnenden Zeit. Wörtliche Anklänge an den Text Lenaus wie an Graf Ptöfy machen das noch deutlicher, ich muss hier auf Einzelheiten verzichten. Auch die Marschallin hat das Erlebnis hörbar fliessenden Zeit im Augenblick, da sie vorzeitig in die Situation der Alterseinsamkeit gebracht wird. Beide, Franziska wie die Marschallin, tun in dieser Lage das gleiche: als gute Katholikinnen suchen sie sich durch Wohltätigkeit und Nächstenliebe zu bewähren.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 40, Zeile 27 / Seite 39, Zeile 34 f.)

Gestreift sei noch eine lustige Parallele zwischen Graf Petöfy und dem Rosenkavalier. Franziska Franz wird von Petöfy auch deshalb begehrt, weil sie als virtuose Plauderin die Fähigkeit hat, dass sie »ihm Konversation machen kann«, ihm »etwas vorplaudern wird«. Im Rosenkavalier stellt Baron Ochs seine Zukünftige auf die Probe mit den Worten: sie »soll uns Konversation vormachen ... Eh bien! nun plauder sie uns eins!«
(Siehe Zeilenkommentar Seite 50, Zeile 33 / 34)

Nicht aus Graf Petöfy, sondern aus einem andern Roman Fontanes unmittelbar herübergenommen ist imRosenkavalier eine besonders erheiternde Szene bzw. eine Personengruppe. Das sei zum Schluss noch angeführt. Beim Lever der Marschallin treten auf: eine verarmte adelige Mutter mit ihren drei Töchtern, Halbwaisen, Almosen erbittend. Die Damen bleiben ungenannt. Ich erlaube mir aber vorzustellen: es erscheinen Frau Majorin von Poggenpuhl mit ihren drei Töchtern, auch Halbwaisen, aus Fontanes gleichnamigen Roman, seiner humorigen Darstellung einer verarmten Adelsfamilie. Auch für die Poggenpuhls ist das Dauerproblem, dass sie ihre finanziellen Nöte bei reichen Verwandten oder einem jüdischen Bankier zu lösen suchen. Die jüngste Tochter ist im Geldbeschaffen am erfolgreichsten. Der jüngsten der drei Waisen im Rosenkavalier reicht auch die Marschallin den Geldbeutel. Ihren eigentlichen Personalausweis führen die Hofmannsthalschen Damen jedoch mit in Form eines trefflichen Fontaneschen Witzes. Im Rosenkavalier singt die schwesterliche Trias der drei Töchter: »Drei arme adelige Waisen | erflehen Dero hohen Schutz! ... Der Vater ist auf dem Felde der Ehre gefallen, | ihm dieses nachzutun, ist unser Herzensziel.« Was uns hier lächeln macht, der beflissene Ehrgeiz dreier Mädchen, es dem ehrenvoll gefallenen Vater »nachtun« zu wollen, beruht auf einem Fontaneschen Scherz. Auch in den Poggenpuhls wird von dem Vater, Major von Poggenpuhl gesagt, er sei jung »an der Spitze seines Bataillons ehrenvoll gefallen«. »Diesen Ruhm der Familie«, heisst es sodann, »womöglich noch zu steigern, war das, was die schwesterliche Trais mit allen Mitteln anstrebte.«
(Siehe Zeilenkommentar Seite 30, Zeile 3 / 8)

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Molière
›Le médecin magré lui‹ ›Der Arzt wider Willen‹
›Le bourgeois gentilhomme‹ ›Der Bürger als Edelmann‹
›Les fourberies de Scapin‹ ›Scapins Streiche‹ 
›Monsieur de Pourceaugnac‹ ›Herr von Schweinischen‹ 
›Georges Dandin, ou Le mari confondu‹ ›George Dandin oder Der beschämte Ehemann‹ 

Die Bedeutung von Molières Werk für Hofmannsthals Schaffen wurde vor allem von Leonhard M. Fiedler ausführlich gewürdigt:
Fiedler, Leonhard M. Hugo von Hofmannsthals Molière-Bearbeitungen. Die Erneuerung der comédie-ballet auf Max Reinhardts Bühnen. Darmstadt: Agora, 1974.

S. 22:
Wie solche im Libretto oft nur noch vage erkennbaren Reminiszenzen zustandekommen und in die Charakterisierung einer Figur einbezogen werden, läßt sich gelegentlich an Notizen Hofmannsthals bis ins Detail verfolgen. Als Beispiel seien einige Zeilen aus einem frühen Entwurf zum II. Akt des „Rosenkavalier“, die sich auf die Charakterisierung des Ochs beziehen, zitiert:
BARON ZU FANINAL: Er darf sagen dass er mit mir liiert ist, das wäre alles.
George Dandins Schwiegereltern.
„Mein Schwiegervater“ gebrauch er den Ausdruck nicht…
Der genaue Bezugspunkt der Anspielung findet sich in der 4. Szene des 1. Aktes von „George Dandin“:
1. Akt 4. Auftritt: 
MME. DE SOTENVILLE: Ne vous déferez-vous jamais avec moi de la familiarité de ce mot de "ma belle-mère", et ne sauriez-vous vous accoutumer à me dire "Madame"?
GEORGE DANDIN: Parbleu! si vous m'appelez votre gendre, il me semble que je puis vous appeler ma belle-mère [...]
(Siehe Zeilenkommentar Seite 54, Zeile 38 ff. / 41 ff.)

S. 23:
Gelegentlich ist es auch ein rein sprachliches Detail, das Hofmannsthal zur Nachahmung reizt und das er daraufhin auf seine Figur überträgt. So bezeichnet Sganarelle im „Médecin malgré lui“ die Gouvernante Jacqueline als „joli meuble“ (II,2/VI,77) – und Ochs im „Rosenkavalier“ äußert über die Duenna „Brauch nicht das Möbel, laß Er nur“[…]
(Siehe Zeilenkommentar Seite 54, Zeile 27 ff. / 29 ff.)

S. 24:
Nur eine von Nérines und Sbriganis Intrigen im „Monsieur de Pourceaugnac“ ist in den „Rosenkavalier“ eingegangen – die Szene, in der Ochs mit seiner angeblichen Frau (bei Molière sind es gleich zwei) und den angeblich von ihm verlassenen Kindern konfrontiert wird. Hier hat Hofmannsthal ein besonders augenfälliges und bühnenwirksames Detail wörtlich übernommen: das wiederholte rhythmische (laut Regieanweisung „mechanische“) Geschrei der Kinder „Papa! Papa! Papa!“ […] Pourceaugnacs „Kinder“ schreien: „Ah! mon papa! mon papa! mon papa!“ […] und kompromittieren ihn endgültig. Dabei ist Pourceaugnac in diesem Falle – im Gegensatz zu Ochs – völlig unschuldig, die Unterschiebung ist rein fiktiv und allein durch das Ziel der Intrige begründet. Hofmannsthal motiviert dagegen die entsprechende Intrige im „Rosenkavalier“ zusätzlich durch Ochs‘ Charakter. Dessen andauernd vorgeführte und von ihm selbst referierte amouröse Escapaden machen die objektiv gesehen falschen Anschuldigungen gegen ihn immerhin möglich und rechtfertigen sie in einem tieferen Sinne.
(Siehe Zeilenkommentar Seite 78, Zeile 41ff. / 40ff.)

Auch andere Forscher untersuchten den Einfluss Molières, z.B.:
Jefferson, Alan. Richard Strauss. Der Rosenkavalier. Cambridge Opera Handbooks 8. Cambridge: University Press, 1985; Neuauflage 1991.

S. 16:
For the character of Annina, Sbrigani's wife Nérine is merged with Lucette from the same play [Molières Pourceaugnac]. Lucette pretends to be married to M. De Pourceaugnac, in a scene in which he is persuaded that he has lost his memory, and small children run round him calling 'Mon papa!' This too Hofmannsthal retained from Molière, who had himself lifted it from the Neapolitan Commedia about Mr Punch: Disgratie di Pollicinella.
»Die Figur der Annina ist eine Verbindung von Sbriganis Frau Nérine und Lucette in demselben Stück [Molières ›Monsieur de Pourceaugnac‹]. In einer Szene, in der Monsieur de Pourceaugnac überzeugt wird, dass er sein Erinnerungsvermögen verloren hat, gibt Lucette vor, mit ihm verheiratet zu sein, während kleine Kinder herumlaufen und ihn ›Mein Papa‹ nennen. Hofmannsthal übernahm es von Molière, der es von der neapolitanischen Komödie über Mr Punch, dem Pech des Pulcinella, entlehnt hat.«
(Siehe Zeilenkommentar Seite 78, Zeile 41ff. / 40ff.)


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Alfred de Musset

Die Worte der Marschallin Manchmal steh' ich auf, mitten in der Nacht | und lass' die Uhren alle stehen erinnern an eine Passage aus Alfred de Mussets Erzählung ›Emmeline‹, in: ›Oeuvres de Alfred de Musset‹, S. 511:

Emmeline. In: ›Oeuvres de Alfred de Musset‹, S. 511.
– Passer le temps! se répéta tout bas Mme de Marsan, dans sa chambre, au moment de se mettre au lit. Ce mot l'empéchait de dormir. – Il est beau, il est brave, se disait-elle, il m'aime. Cependant so coeur battait avec violence; elle écoutat le bruit de la pendule, et la vibration monotone du balancier lui étati insupportable; elle se leva pour l'arrêter. – Que fais-je? demanda-t-elle; arrêterai-je l'heure et le temps, en forçant cette petite horloge à se taire?  Les yeux fixés sur la pendule, elle se livra à des pensées qui ne lui étaient pas encore venues. Elle songea au passé, à l'avenir, à la rapidité de la vie; elle se demanda pourquoi nous sommes sure terre, ce que nous y faisons, ce qui nous attemd après.
»Die Zeit vertreiben!‹ wiederholte sie leise, als sie, allein in ihrem Zimmer, sich zur Ruhe begab. Dieses Wort hinderte sie am Einschlafen. ›Gewiß, er ist schön, er ist tapfer; er liebt mich‹, sagte sie sich. Aber ihr Herz schlug stürmisch. Sie vernahm das Ticken der Kaminuhr, und das eintönige Schwingen des Pendels war ihr unerträglich. Sie erhob sich, um es anzuhalten. ›Was tue ich?‹ fragte sie sich. ›Kann ich etwa die Zeit anhalten, indem ich diese kleine Stutzuhr zum Schweigen bringe?‹ Die Augen auf die Pendüle geheftet, gab sie sich Gedanken hin, wie sie ihr noch niemals gekommen waren. Sie dachte an Vergangenes und Zukünftiges, an das eilige Entschwinden der Zeit; sie fragte sich, ›warum wir auf Erden sind; was wir dort tun; und was uns späterhin erwartet‹ ...« 
(Zu Zeilenkommentar Seite 40, Zeile 33 f. / Seite 39, Zeile 43 ff.)


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Pete Seegers
Im Song von 1950: »Turn! Turn! Turn!«  heißt es: »To everything – turn, turn, turn / There is a season – turn, turn, turn / And a time to every purpose under heaven / A time to be born, a time to die / A time to plant, a time to reap / A time to kill, a time to heal / A time to laugh, a time to weep.«
Marlene Dietrichs deutsche Version: »Für alles Tun, | Glaub, glaub, glaub, | Auf dieser Welt, | Glaub, glaub, glaub, | Kommt die Zeit, wenn es dem Himmel so gefällt | Die Zeit der Fülle, die Zeit der Not. | Die Zeit der Sorge um's tägliche Brot. | Die Zeit zum Speisen, die Zeit zum Fasten. | Die Zeit zum Schaffen, Zeit zum Rasten. | [...] | Die Zeit der Saat, der Erntezeit | Die Zeit des Danks, daß es soweit! | Die Zeit zum Schweigen, die Zeit zum Reden.«
(Zu Zeilenkommentar Seite 13, Zeile 9 / 10)

 

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François Villon
›Ballade des Dames du temps jadis‹ ›Ballade der Frauen von einst‹
›Mais où sont les neiges d'antan?‹ ›Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?‹
(Zu Zeilenkommentar Seite 37, Zeile 7f. / 7ff.)




3. Darstellungen zu einzelnen Aspekten in der Sekundärliteratur

Botstein, Leon. The Enigmas of Richard Strauss: A Revisionist View. In: Bryan Gilliam, Hg. Richard Strauss and his World. Princeton: Princeton University Press, 1992, S. 18f.
Strauss, beginning with ›Der Rosenkavalier‹, helped to invent a new twentieth-century form of self-critical historicism. What distinguished the Straussian form of historicism from mid-nineteenth-century historicism (against which fin-de-siècle modernism consciously struggled, particularly in architecture and painting) was the fragmentation in the use of the past and the irony associated with Strauss's (and Hofmannsthal's) approach to historical appropriation. In the name of the modern, fragments of the past had to be brought back, suggestively, and reordered and integrated anew.
»Beginnend mit dem ›Rosenkavalier‹, half Strauss mit, eine neue, dem 20. Jahrhundert angemessene Form eines selbstkritischen Historizismus zu erfinden. Diese Strauss'sche Form des Historizismus unterschied sich vom Historizismus der Mitte des 19. Jahrhunderts (gegen den die Moderne der Jahrhundertwende bewusst ankämpfte, hauptsächlich in Architektur und Malerei) durch Fragmentierung und ironische Aneignung der Vergangenheit, die mit Strauss' (und auch Hofmannsthals) Vorgehensweise in Bezug auf Geschichte verbunden war. Im Namen der Moderne wurden Fragmente der Vergangenheit andeutungsweise aufgegriffen, neu zusammengestellt und verflochten.«

Botstein, Leon. Strauss and Twentieth Century Modernity: a Reassessment of the Man and his Work. In: Bernd Edelmann, Birgit Lodes und Reinhold Schlöderer, Hg. Richard Strauss und die Moderne. Bericht über das Internationale Symposium München, 21. bis 23. Juli 1999. Berlin: Henschel, 2001, S. 119.
As an alternative to the conventional account of Strauss's career after 1910 one might suggest that Rosenkavalier is itself a radical work, a harbinger of neoclassicism and an ironic deconstruction of notions of history and progress. It represents a new type of musical theatre that breaks with the heavy post-Wagnerian apparatus and weight of Elektra.
Als eine Alternative zu der herkömmlichen Sicht von Strauss' Karriere nach 1910 könnte man vorschlagen, dass der ›Rosenkavalier‹ selbst ein radikales Werk ist, ein Vorbote eines Neoklassizismus und eine ironische Infragestellung der Begriffe von Geschichte und Fortschritt. Die Oper stellt eine neue Art von Musiktheater dar, die von dem schweren nach-Wagnerischen System und Gewicht der ›Elektra‹ Abstand nimmt.
(Anmerkung 82)

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Jefferson, Alan. Richard Strauss. Der Rosenkavalier. Cambridge Opera Handbooks 8. Cambridge: University Press, 1985; Neuauflage 1991.

S. 19 f.:
There is the unwilling, dejected young girl, the pompous suitor showing off his elaborate 'Stammbaum' (family tree) while two lawyers with a marriage contract and mortgage deeds are apparently getting nowhere in their argument with him.
»Hier [in Blatt 4 von William Hogarth’s Heirath nach der Mode‹] gibt es das sich streubende, niedergeschlagene junge Mädchen, den wichtigtuerischen Freier, der mit seinem beeindruckenden Stammbaum prahlt, während zwei Advokaten mit einem Ehe-Vertrag und Hypothekenbriefen scheinbar bei ihm keinen Erfolg mit ihren Argumenten haben.«
(Zu Zeilenkommentar Seite 32, Zeile 18ff. / 15ff.)

[...] the idea behind it may derive from ancient French literature. In his youth he wrote romantic poetry under the pseudonym of 'Loris'; the first part of the great treatise on courtly love, Le Roman de la Rose (1236), was written by Guillaume de Lorris, and the central identification of the rose with love, and ts winning or presentation as the fulfilment of desire, provide the symbolism of the scene at the mid-point of the opera. The inspiration for the ceremony in Der Rosenkavalier (which is made credible because the characters talk about it as an accepted social formality) can be seen in the figurative art of eighteenth-century and nineteenth-century Bohemia, where every plaque or design showing a nobleman has a rose as part of its ornamental embellishment.
»die Idee [der Rosen-Überreichung] stammt vielleicht aus der alten französischen Literatur. In seiner Jugend schrieb er [Hofmannsthal] romantische Gedichte unter dem Pseudonym ›Loris‹. Der erste Teil der großen Abhandlung über höfische Liebe, der Rosenroman (1236), wurde von Guillaume de Lorris geschrieben und die im Mittelpunkt stehende Gleichsetzung der Rose mit Liebe und ihr Gewinn oder ihre Überreichung als die Erfüllung der Sehnsucht drücken den Symbolismus der Szene im Höhepunkt der Oper aus. Die Inspiration für die Zeremonie in Der Rosenkavalier (die glaubhaft wirkt, da die Bühnencharaktere von ihr als einer allgemein bekannten Sitte sprechen) kann in der figurativen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts in Böhmen gesehen werden, wo jede Gedenktafel oder Darstellung eines Edelmanns als ornamentale Verzierung eine Rose hat.«
(Zu Zeilenkommentar Seite 21, Zeile 18f. / 18f.)

S. 19 f.
Hofmannsthal has adapted the mise-en-scène of a Bohemian estate wedding for this high-point in the opera, by bringing on the Rofrano heyducks in procession to form a tableau and to lend grandeur and glamour to the occasion. The uniforms and shakoes of these soldiers, a personal bodyguard from the Rofrano household, are curiously reminiscent – although in a more stylized manner – of pictures of old Bohemian weddings where the men wore tall hats and they and the women carried roses or sprigs of myrtle in their hands as a symbol of love. (When the Ochs retinue appears in Faninal's palace, each member carries a sprig of myrtle. Hofmannsthal has ingeniously recreated the pattern of an estate, or village, wedding and has placed his ceremony in Bohemian tradition, transported to the capital, Vienna. 
»Hofmannsthal hat für den Höhepunkt seiner Oper die Inszenierung einer Hochzeit eines böhmischen Gutsherrn adaptiert, indem er die Haiducken Rofranos in einem Festzug zu einem Tableau aufmarschieren lässt, um dem Ereignis Würde und Pracht zu verleihen. Die Uniformen und helmartige Kopfbedeckungen dieser Soldaten, einer privaten Leibwache der Rofrano Familie, erinnern seltsamerweise – obwohl viel stilisierter – an Bilder von alten böhmischen Hochzeiten, auf denen die Männer hohe Hüte aufhaben und beide, Männer und Frauen in ihren Händen Rosen und Myrtenzweige tragen als ein Symbol der Liebe. (Wenn das Gefolge von Ochs in Faninals Palast auftritt, trägt jeder von ihnen einen Myrtenzweig.) Hofmannsthal hat auf geistreiche Weise die Vorlage einer gutsherrschaftlichen oder dörflichen Hochzeit nacherschaffen und seine Zeremonie nach der böhmischen Tradition nach der Hauptstadt Wien verlegt.«
(Zeilenkommentar Seite 44, Zeile 17ff. / 17ff.)

S. 20:
An Austrian engraving of about 1716 shows a view of the Schönbrunn Palace. In the foreground is Count Paar's villa and riding school, where a group of ladies and gentlemen are admiring the Spanish horses. A little black page stoops to pick up a lady's handkerchief from the ground where it has fallen unobserved.
»Ein österreichischer Kupferstich des Schlosses von Schönbrunn von ca. 1716 zeigt im Vordergrund die Villa und Reitschule von Graf Paar, wo eine Gruppe von Damen und Herren die Spanischen Pferde bewundern. Ein kleiner schwarzer Page beugt sich, um das Taschentuch einer Dame, das auf den Boden gefallen war, aufzuheben.«
(Zeilenkommentar Seite 100, Zeile 44ff. / 47ff.)

 

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4. Fremdsprachige Texte,
die noch nicht in den oben aufgeführten Kategorien zitiert und übersetzt wurden

Kessler, Harry Graf an seine Schwester Marquise de Brion

We used to work about three or four hours a day, while walking up and down, each of us giving une idée by turns, so that it is now quite impossible for either of us to say, which is which and who is the author of this part or of that. In three days we thus managed to set down the scenario dans ses plus petits détails, jusqu'aux jeux de scène, so that only the words are still missing.
»Auf und abgehend, arbeiteten wir vormittags drei bis vier Stunden an dem Szenario; abwechselnd trug jeder von uns eine Idee dazu bei, so daß es heute ausgeschlossen wäre herauszufinden, bei welchem von uns beiden jede Idee ihren Ursprung nahm. In drei Tagen gelang es uns jede kleine Einzelheit festzusetzen, sogar das Spiel auf der Bühne. Nur die Worte fehlen noch.«
(Zu Anmerkung 67)


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[Weitere Quellen in Vorbereitung]